Artikelverzeichnis - Die Geschichte der O

Fang die O – ein Versuch, „die Geschichte der O“ zu verstehen

Wer ist die Romanfigur O? Wieso setzt sie sich freiwillig, täglichen Schmerzen und Bevormundungen aus und worin liegt für sie darin die Faszination?

„Bitte, bitte lass mich Dein Sklave sein“ (Bitte, bitte von „Die Ärzte“)

Ich habe ein Geschenk für Dich.
Ich liebe Dich. Ich schenk' Dir mich.
Frag mich nicht, Du weißt warum.
Ab heut' bin ich Dein Eigentum

So beginnt die erste Strophe des Lieds „Bitte, bitte“ von „Die Ärzte“, die sich in dem Lied als Sklave verschenken wollen. Ob sie wussten, was ein Sklave ist und sein kann?
Bilder von nackten Frauen auf allen Vieren, gefesselt mit einer Leine an einer Heizung tauchen vor Ihnen auf? Dieses Bild könnte tatsächlich während einer SM-Session entstanden sein, hat aber mit dem inneren Wesen einer Sklavin nicht viel zu tun. Eine devote Person kann weiblich aber auch männlich sein. Im Folgenden wird diese mit weiblichem Geschlecht ausgewiesen sein, da wir uns auf den Roman Geschichte der O beziehen und die Hauptperson weiblich ist. Alles Folgende kann sich aber genauso auf das männliche Geschlecht beziehen.

Distribution der Geschichte der O

Selbst im Fetisch-Bereich geistern immer wieder die Begriffe, „O“ und „Sub“, „Sklavin“ und „Zofe“, durch den Raum, gefolgt von unzähligen, nicht enden wollenden Diskussionen über die Begriffdefinitionen und deren Abgrenzungen.

An dieser Stelle soll nicht näher auf diese Diskussion eingegangen werden, doch ist die Definition einer „O“, weil so speziell, davon herauszunehmen.

Der Begriff bzw. der Buchstabe „O“ leitet sich von dem Roman „Geschichte der O“ von Pauline Réage ab, geschrieben 1954. In vielen Ländern stand bzw. steht der Roman noch immer auf dem Index für jugendgefährdende Schriften. In Deutschland erschien er 1967. Der Roman stand und steht auch in Deutschland auf dem Index. Bis heute ist es als eigenständige Ausgabe nicht freigegeben.
Es gibt aber eine Ausgabe, die den Text und ein ausführliches Interview mit der Autorin enthält. Diese Ausgabe „Die O hat mir erzählt“ ist seit 2000 frei erhältlich und wird schon seit mehreren Auflagen erfolgreich im Charon Verlag verkauft.
Ist unsere Gesellschaft heute offener und toleranter? Wird dem Volk zugetraut, durch Beigabe von zusätzlichen Informationen, Hintergrundwissen und Interpretationshilfen, einen indizierten Roman einordnen zu können?
Fakt ist, dass der Roman nach Ersterscheinung großen Einfluss auf die BDSM-Szene „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“) hatte und sie in Teilen nachhaltig veränderte.

O - und woher O kommt

„O“ ist in diesem Fall der „Name“ der Hauptperson. Réage hatte zuvor den Vornamen einer guten Freundin, „Odile“, gewählt, doch nachdem sie einige Seiten geschrieben hatte, entschied sie, den Namen aus Pietätgründen zu kürzen.
Im Roman durchläuft O eine Ausbildung, die sie zu einer devoten Dienerin macht, deren Leben dadurch dramatisch und grundlegend verändert wird.
In der Realität hat es sich eingebürgert, dass eine devote Dienerin vor Ihren Vornamen den Buchstaben „O“, also z. B. „O-Janina“ stellen darf, sobald sie dem Level einer ausgebildeten O aus dem Roman entspricht.

Aber nicht nur vor Namen wird der Buchstaben gestellt. Symbole wie das O-Kleid oder der O-Ring, die schon im Roman wichtig sind, sind in dieser Form in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen.

Das Regelwerk der O

Die Regeln, nach denen sich eine O zu richten hat, sind vielfältig und komlex. Sie reichen von vorgeschriebenen Schlafpositionen (angekettet) zu Liege- und Sitzpositionen (Beine immer leicht geöffnet, nie übereinander geschlagen). Auch die Stehpositionen und Blickrichtungen (kein Blick oberhalb des Geschlechts des Mannes, den Mund immer leicht geöffnet) unterliegen festen Richtlinien.
Ziel dabei ist die ständig mögliche Zugänglichkeit der O. Sie muss dem Mann mit allen Körperöffnung jederzeit zur Verfügung stehen. So hat sie auch Vorschriften, was Kleidung betrifft und das Sprechen. Ohne Erlaubnis ist ihr dies nicht gestattet.
Bei Zuwiderhandlung ist sie Strafen ausgesetzt, die ihr Gebieter selbst bestimmt und in einem Strafbuch eintragen kann (www.die-geschichte-der-o.com). Selbst für Bestrafungen gibt es bestimmte Körperhaltungen, die eine O einzuhalten hat.

24/7 und O

Ein Leben in der BDSM-Szene unterscheidet sich zunächst nicht von einem durchschnittlichen bürgerlichen Leben innerhalb jeglicher statistischer „Norm-Untersuchung“. Aus diesem „spießigen Leben wird ausgebrochen und sich zu zeitlich begrenzten Sessions getroffen, um dort auf sexuelle Weise die Rolle einer devoten oder dominanten Person einzunehmen und diese Rolle zu Verkörpern.
Aber wie tief die Identifikationsmodelle auch sein mögen, man geht wieder zurück zu seinem ursprünglichen Leben.
Der große Unterschied zum Leben einer O ist damit die so genannte 24/7-Regel.
Denn eine O kennt so eine Trennung nicht. Für sie gibt es kein Spielen und leben. Für Sie ist das Spiel das Leben. Deshalb lebt sie als Sklavin 7 Tage die Woche 24 h lang. Für sie ist das Spiel Ihr Leben. Sie ist Sklavin für 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche.

Freiheit oder Selbstaufgabe?

Eine SM-Session lebt von Ihrem Lustgewinn, von sexueller Befriedigung und auch zeitweisem Ausstieg aus seiner Rolle in der Gesellschaft.
An dieser Stelle trifft sich das Ziel einer SM-Session und dem Leben einer O.
Denn eine O steigt komplett aus ihrer Rolle in der Gesellschaft aus. Sie überlässt alles Ihrem Gebieter und richtet ihr ganzes Leben auf diesen auf.
Sie sucht die Selbstvergessenheit, die Freiheit durch vollständige Selbstaufgabe.
Anders aber als in einer SM-Session ist Ihre Überlassung an eine andere Person nicht zeitlich gebunden, sondern vollständig auf ihr restliches Leben ausgelegt.
Basis ist dafür ihre Liebe zu Ihrem Herrn, zu dem Sie spätestens durch ihre Ausbildung als O in einer Abhängigkeit lebt. Dieser beherrscht ihr ganzes Denken und Tun. In ihren Augen ist er ein gütiger Gott, der ihr seine Liebe durch Misshandlung und psychischer Unterwerfung zeigt. Jede Geste, jedes Wort zeugt von seiner Liebe. Gleichzeitig sucht die O ihre geistige Freiheit durch den Weg dieser körperlichen Aufgabe, den sie durch die vollständige Zerstörung durch tägliche Folterungen, Auspeitschungen, Prostitution erreichen will. Sie unterwirft sich dem Diktat ihres Herrn, der ihr durch Branding und Extrempiercing seine unauslöschbaren Initialen eindrückt.
Dabei ist eine O stolz auf Ihr Dasein. Sie verteidigt sich, Ihre Lebensweise und trägt dabei die Insignien Ihres Sklaventum mit Stolz.

Nach den Grundsätzen des Romans kann sie ihren Herrn sogar jederzeit verlassen. Der einzig annehmbare Grund dafür ist die fehlende Liebe zu ihrem Herrn. Wenn O Ihren Gebieter nicht mehr liebt, lässt er sie gehen, ansonsten aber ist sie ihm völlig ausgeliefert. Doch genau dies ist ihr Ziel: die Abgabe ihres eigenen Willens und die Überlassung ihres Körpers aus tiefer Liebe zu ihrem Herrn, um eine vollständige O zu sein.